Standpunkt: Auf neuen Wegen zu neuen Ufern

Standpunkt: Auf neuen Wegen zu neuen Ufern

Wer immer der neue Bundesverkehrsminister wird – im Bereich der Verkehrspolitik bedarf es in der neuen Legislaturperiode einer völligen Neuorientierung. Wichtigste Aufgabe des neuen Amtsinhabers werden Verhandlungen mit dem Bundesfinanzminister zu einer kräftigen Aufstockung des Investitionsetats Infrastruktur sein.

Alle Experten aus Politik, Verkehr, Logistik und Verladender Wirtschaft sind sich einig, dass eine dauerhafte Aufstockung des Investitionsvolumens von 10 auf 14 Milliarden Euro jährlich unausweichlich ist, um die Unterlassungssünden bei der Instandhaltung der Infrastruktur zu tilgen und dem wichtigsten europäischen Transitland neuen Handlungsspielraum beim Bau dringend nötiger Anbindungen an Infrastrukturprojekte der Nachbarländer zu verschaffen.

Wichtige Verbindungen

Dazu zählen neben der Fehmarnbeltquerung und dem Weiterbau der Küstenautobahn mit neuem Elbtunnel, der Weiterbau der Betuweline bis in das Ruhrgebiet und der Ausbau der Rheintal-Bahnstrecken mit Anschluss an den Gotthardtunnel. Vorrangige Projekte bei den Wasserstraßen sind:

  • Ausbau des Nord-Ostsee-Kanals
  • Fertigstellung des Projektes 17 mit einer Anbindung über den Oder-Spree-Kanal und Oder-Havel-Kanal nach Polen
  • Wiederherstellung einer Tauchtiefe von 1,60 Meter auf der Elbe bis zur tschechischen Grenze an 345 Tagen im Jahr
  • Anbindung der bereits vollständig renovierten Wasserstraße Saale an das Elbstromgebiet durch den Bau des Saale-Seitenkanals
  • Fertigstellung des Mittelweserausbaus für das 135-Meter-Schiff
  • Bau der zweiten Moselschleusen
  • Modernisierung des Main-Donau-Kanals
  • Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen in der Variante C 280
  • Ausbau des Neckars für das 135-Meter-Schiff bis Plochingen

Weichen falsch gestellt

Der bisherige Bundesverkehrsminister Ramsauer hat in zentralen Bereichen der Verkehrspolitik einen Paradigmenwechsel vollzogen. So wurde das verkehrspolitische Ziel, Güterverkehr von der Straße auf Schiene und Wasserstraße zu verlagern, durch praktisches Handeln aufgegeben. Seit Einführung der Lkw-Maut wurden Infrastrukturprojekte bei Schiene und Wasserstraße aus diesen Mitteln cofinanziert.

Gleich zu Beginn seiner Amtsperiode hat Ramsauer dies geändert und seither fließen die Mittel ausschließlich in den Straßenbau. In der Folge war die Finanzierung des Weiterbaus der zweiten Moselschleusen gefährdet und für den Ausbau der Bahninfrastruktur mussten zusätzliche Mittel aus dem Bundeshaushalt bereitgestellt werden.

Mit der im Zuge der WSV-Reform eingeführten Priorisierung der Haushaltsmittel für die Wasserstraßen wurden die seit Jahrzehnten geltenden Ausbauziele für das Wasserstraßennetz aufgegeben und weite Teile des Fluss- und Kanalnetzes sowie der Häfen von einer zukunftsgerichteten Entwicklung abgeschnitten.

Mit der Weiterverfolgung der Priorisierung würden nicht nur milliardenschwere Investitionen aus dem Aufbau Ost in das ostdeutsche Wasserstraßennetz entwertet, sondern auch großen Teilen der ostdeutschen Industrielandschaft die dringend benötigte Verbesserung ihrer Standortqualität vorenthalten.

Diese auch wirtschaftspolitisch kaum verständliche Fehlentscheidung bedarf dringend der Korrektur, denn sonst drohen Wachstumsverluste und schlimmstenfalls Desinvestitionen in wichtigen industriellen Entwicklungsgebieten an Elbe, Saale, Spree, Havel und Oder.

Eigeninitiative

Das dies durchaus einen realen Hintergrund hat, zeigt das Kaufangebot von Vertretern der ostdeutschen Wirtschaft vom 3. September an den Bund, die Schleusen Kleinmachnow und Fürstenwalde für je einen Euro zu übernehmen und die beiden letzten verbliebenen Engpässe bei der vor 20 Jahren begonnenen Ertüchtigung der ostdeutschen Wasserstraßen für etwa 63 Millionen Euro auf eigene Kosten innerhalb von sechs Jahren zukunftsfähig auszubauen.

Mit dabei ist auch das EKO-Stahlwerk in Eisenhüttenstadt, das 2012 aus 4 Millionen Tonnen Rohstoffen rund 1,8 Millionen Tonnen Rohstahl produziert hat und die deutsche und osteuropäische Automobilindustrie mit 1,5 Millionen Tonnen hochwertigem Flachstahl beliefert.

Von einer Fertigstellung des Ausbaus der ostdeutschen Wasserstraßen erwarten die Unternehmen ein zusätzliches Transportvolumen von 5,5 Millionen Tonnen jährlich für die Binnenschifffahrt. Auch der seit Jahren versprochene Bau des Saaleseitenkanals würde der Binnenschifffahrt ein zusätzliches Transportvolumen von 2 bis 3 Millionen Tonnen jährlich bringen – Güterverkehre, die vornehmlich von der Straße verlagert werden könnten und dort Kapazitätsreserven freisetzen.

Zwischen Krise und Perspektiven

Gerade das Binnenschifffahrtsgewerbe ist auf die Akquisition zusätzlicher Transportmengen dringend angewiesen, denn es leidet seit fünf Jahren unter erheblichen Überkapazitäten und in der Folge unter einer für viele Unternehmen kritischen Wirtschaftslage.

Ein bedeutender Teil des Kapazitätsausbaus der Trockenschifffahrt geschah aufgrund hoher Wachstumserwartungen bei der Versorgung neuer Kohlekraftwerke vor dem Hintergrund der Energiewende in Deutschland und dem beschlossenen sukzessiven Abschalten der Atomkraftwerke. Auf bis zu 100 Millionen Tonnen und mehr wurde das Transportvolumen in diesem wichtigen Massengutsektor geschätzt. Heute ist man froh, wenn die seit Jahren relativ konstanten Importkohlemengen von 45 Millionen Tonnen gehalten werden können – Tendenz sinkend.

Wachstumsperspektiven gibt es im Containerverkehr. So sollen künftig 45 Prozent der Containermengen an den neuen Terminals in der Maasvlakte 2 in Rotterdam per Binnenschiff in das Hinterland transportiert werden – ein Plus von 50 Prozent gegenüber dem heutigen Anteil. Auch im Agrarbereich gibt es vorsichtige Wachstumserwartungen, denn die weiter zunehmende Weltbevölkerung wird vor allem aus gemäßigten Klimazonen wie Europa mit Nahrungsmitteln versorgt.

So kaufen internationale Investoren in Bulgarien und Rumänien große Flächen auf, um sie intensiver landwirtschaftlicher Nutzung zuzuführen. Deren Produkte wiederum erreichen über die Binnenhäfen an der Donau und die Seehäfen am Schwarzen Meer und der Rheinmündung ihre Verbraucher. Real greifbar sind aber nur die Güterverkehrsmengen, die beim Ausbau des ostdeutschen Wasserstraßennetzes realisiert werden und der dortigen Industrie neue Wachstums- und Beschäftigungsimpulse geben.

Neue Wege gehen

Den neuen Verantwortlichen in der Verkehrspolitik bleibt zu wünschen, dass sie aus Fehlern der Vergangenheit lernen und den vor 20 Jahren geplanten Ausbau der ostdeutschen Wasserstraßen zu Ende bringen. Wenn es am Geld mangelt, sollte man das Angebot der Wirtschaft annehmen. Man muss nur den Mut haben, bei der Finanzierung neue Wege zu gehen – dann erreicht man auch neue Ufer.

Der Autor Hans-Wilhelm Dünner ist Herausgeber und Chefredakteur des Fachmagazins Schiffahrt Hafen Bahn und Technik. Der Text erscheint auch als Editorial der Ausgabe 7/2013.

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