Berliner Brennstoffzellen-Schubboot „Elektra“: International ganz vorn

Schubboot "Elektra" im Westhafen Berlin: Bild: Projektgruppeschliessen

In der Fahrgastschifffahrt hat sich die Brennstoffzelle bislang nicht durchsetzen können. Die früheren Technologieträger „Innogy“ und „Alsterwasser“ fahren inzwischen rein batterieelektrisch, ebenso mehrere Neubauten wie „Berg“, „Sankta Maria“ oder „St. Nikolaus“. Im Güterverkehr wird jedoch weiter geforscht und erprobt – und das nicht nur in Europa.

Selten wohnt einer Binnenschiffstaufe derart hoher Besuch bei: Neben Taufpatin Franziska Giffey, Regierende Bürgermeisterin von Berlin, trat auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing am 16. Mai 2022 an das Rednerpult im Berliner Westhafen. Dort feierten Politik und Projektbeteiligte gemeinsam die Taufe des nach eigenen Angaben weltweit ersten emissionsfreien Schubbootes dieser Art.

Wasserstoff und Strom aus erneuerbaren Energien
Nach fast zweijähriger Bauzeit auf der Schiffswerft Hermann Barthel in Derben und der bereits im Januar 2022 erfolgten Abnahme startete Mitte Mai die Langzeiterprobung des 20 Meter langen und 8,20 Meter breiten Schubbootes, das von zwei jeweils 210 Kilowatt starken Elektromotoren mittels zweier Ruderpropeller angetrieben wird.

Die elektrische Energie erzeugen drei Wasserstoff-Brennstoffzellen mit je 100 Kilowatt Leistung, die aus sechs „Multiple Energy Gas Containern“ (MEGC) rund 750 Kilogramm Wasserstoff ziehen können. Um kurzfristig die volle Antriebsleistung zu erreichen, befinden sich 25 Tonnen Lithium-Polymer-NMC-Akkumulatoren an Bord, die insgesamt 2050 Kilowattstunden für den Antrieb und 300 Kilowattstunden für das Bordnetz speichern. Diese sollen hauptsächlich von Land aus mit Strom aus Wind und Sonne geladen werden. Auf gleiche Weise soll auch der „grüne“ Wasserstoff produziert werden; der Vertrag für Befüllung und Logistik der Gas-Container gilt bis zum Ende der Projektlaufzeit Ende 2024.

Auf Sparsamkeit getrimmt
Anders als bei dieselbetriebenen Fahrzeugen ist Energie an Bord der „Elektra“ ein knappes Gut: Die Reichweitenkalkulation mit dem beladenen Schwergut-Leichter „Ursus“ beträgt nicht einmal 400 Kilometer. Aus diesem Grund wird der Technologieträger zunächst hauptsächlich im innerstädtischen Bereich eingesetzt. Dank einer Ladestation, die 2023 in Lüneburg in Betrieb gehen soll, sind künftig auch Fahrten an Rhein und Ruhr machbar.

Wegen der im Vergleich zu Diesel geringen Energiedichte des Systems ist „Elektra“ auf Sparen getrimmt. So wird die Abwärme der Brennstoffzellen mittels einer Sole-Wärmepumpe zum heizen der Wohn-, Arbeits- und Batterieräume genutzt. Eine kleine Solaranlage auf dem Steuerhaus trägt nur minimal zur Gesamtleistung bei. Der Einsatz eines selbstentwickelten Energiemanagementsystems und eines Fahrassistenten unterstützen Schiffsführer und Logistiker bei der Planung von Routen und „Bunker“-Aktivitäten. Ein bordeigener Ladekran hilft, die Wasserstoff-Container an und von Bord zu hieven, ein Ladegalgen führt die Kabel für den 500-Kilowatt-Stromanschluss anwenderfreundlich an Land.

An Bau und Entwicklung wirkten unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Gerd Holbach von der Technischen Universität Berlin die Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft (BEHALA), BALLARD Power Systems (Brennstoffzellen), Argo-Anleg (Wasserstoffsystem), SER Schiffselektronik Rostock (elektrisches Energiesystem) und EST-Floattech (Akkusystem) mit. Das nautische Personal stellt die HGK Shipping.

Erfahrungen für künftige Projekte sammeln
Verkehrsminister Wissing sprach in seiner Taufrede von eine Blaupause für die klima- und umweltfreundliche Binnenschifffahrt, die nicht nur technisch sondern auch regulatorisch eine echte Pionierleistung sei. Laut den Projektbeteiligten ist das Energiesystem so konzipiert, dass es auf eine Vielzahl von Binnenschiffs- und Küstenschiffstypen übertragbar ist. Laut einem Video der Projektbeteiligten werden in Hamburg bereits drei weitere Boote nach dem Vorbild der „Elektra“ entwickelt. Zu dem Gesamtprojektvolumen von etwa 14,6 Millionen Euro steuerte das Bundesministerium für Digitales und Verkehr Fördermittel in Höhe von 9,1 Millionen Euro bei.

Zur Projektseite der BEHALA

Internationales Interesse an Brennstoffzelle in der Güterschifffahrt
Ende 2024 soll das Schubboot in den regulären Betrieb gehen. Dann zeigt sich, wie es um die Wirtschaftlichkeit der Kraftstoffversorgung im konkreten Fahrgebiet steht. Die Versorgung von „Innogy“ und „Alsterwasser“ mit spezieller Infrastruktur oder langen Anfahrtswegen hatte sich als zu teuer erwiesen, regional befüllte Methanol-Großgebinde (geplantes Hafenboot Emden) oder Gas-Container („Elektra“) könnten sich als vorteilhaft erweisen. In jedem Fall interessant wird aber der internationale Vergleich.

In den USA startete im Dezember 2021 die Entwicklung eines Schubbootes mit Methanol-Brennstoffzellen und ergänzenden Akkus. Das 27 Meter lange Boot soll bei 9 Kilometern pro Stunde eine Reichweite von 885 Kilometern haben. Auch die Antriebsleistung von 2.010 Kilowatt – davon 1.270 Kilowatt aus den Brennstoffzellen – verdeutlicht die dort geplanten Dimensionen.

In Frankreich wurde 2019 ein Schubboot mit Wasserstoff-Brennstoffzelle zur Lieferung ab 2021 angekündigt. Zu den genannten Projektpartnern zählten der Konzern ABB und die französische Flussreederei CFT. Letztere ist inzwischen an Bord des 2021 gestarteten Forschungsprojekt „Promovan H2“, der Entwurf eines CFT-Wasserstoff-Schubers ziert einen Zeitungsartikel von „Les Echos“. Als konkretes Projekt wird bislang jedoch nur die Umrüstung eines kleinen Schiffes für den innerstädtischen Güterverkehr in Paris vorangetrieben: Am 23. März 2022 ist die 55 Meter lange und 8 Meter breite „Zulu 06“ von ihrer Überführungsfahrt aus dem rumänischen Giurgiu zur Umrüstung in Le Havre eingetroffen – mehrfach gesichtet und zunächst mit konventionellem Antrieb.

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