Landstrom vice versa: Atomausstieg mit dem Binnenschiff

Landstrom vice versa: Atomausstieg mit dem Binnenschiff

Während die postatomare Energieversorgung in Deutschland heiß diskutiert wird, liegen längst kreative und zum Teil langjährig erprobte Konzepte in der Schublade. Schwimmende Kraftwerke wurden dagegen bislang nur an Meeresküsten gesichtet. Aber warum eigentlich?

Wegen Stromausfall geschlossen. Was am 8. März dem Abgeordnetenhaus in Berlin widerfahren ist, wird Energie-Pessimisten zufolge zum Alltag in der Bundesrepublik gehören, wenn der letzte Atommeiler vom Netz gegangen ist. Dazu bedarf es nicht einmal eines Baggers. Sich nicht ausreichend um Energiespeicherlösungen oder dezentrale Stromerzeugung zu kümmern, reicht völlig aus.

Kreative Konzepte

Ideen gibt es viele. Manche davon haben Kritiker zuvor als absurd abgewiesen. Doch heute mauern Ökostromanbieter und Autohersteller Motoren in Mehrfamilienhauskellern ein. Stromkonzerne lagern sichtbare Kraftwerke in den virtuellen Raum aus,  pumpen nachts Wasser auf Berge oder zapfen frisch geladenen Elektroautos den Saft wieder ab. Seit über 60 Jahren fahren Binnenschiffe enorme Motorleistungen durch die Republik. Auch sie könnten an einer dezentralen, bedarfsgerechten Energieerzeugung Teil haben.

Zwar fährt ein heutiges 110-Meter-Tankschiff nur Stromerzeuger mit insgesamt knapp 700 Kilowatt elektrischer Leistung spazieren. Kommen in naher Zukunft bei diesel-elektrischen Systemen die Antriebsmotoren hinzu, ist die Zwei-Megawatt-Grenze schnell überschritten. Damit liegen selbst Trockenfrachter in der gleichen Leistungsklasse wie mittlere Windkraftanlagen. So bringt es bereits heute der 84 Meter lange, diesel-elektrische Versuchsumbau ENOK auf knapp ein Megawatt, das mit einem ähnlichen System angetriebene Flusskreuzfahrtschiff VIKING LEGEND auf 2,7 Megawatt Leistung.

7.000 Kilowattstunden – Lieferung in Karlsruhe

Denkbar, dass 2030 die elektronischen Börsen für Schiffsfracht und Strom miteinander vernetzt sind. 7.000 Kilowattstunden am Energieterminal am Rheinhafen Karlsruhe, Lieferung heute, zwischen 16 und 20 Uhr. Solche Angebote nimmt dann entgegen, wer gerade auf Ladung wartet, seinen Liefertermin dennoch einhalten oder einfach seine vorgeschriebene Ruhezeit verschieben kann.

Technisch ist alles machbar. Selbstredend, dass Bordtechnik und Infrastruktur teuer aufgerüstet werden müssen. Schon allein deshalb wird der zur Landeinspeisung erzeugte Bordstrom kein günstiger sein. Und heutige Einzelstundenkontrakte an den Strombörsen lassen auch zu Spitzenlastzeiten noch keinen wirtschaftlichen Dieselgenerator-Betrieb zu.

Doch wenn der Strom zu Großveranstaltungen oder an kalten Wintertagen zur Mangelware wird und der Verbraucher sich nach Versorgungssicherheit sehnt, könnte sich auch die Bordstromeinspeisung per Binnenschiff rechnen. Weil Dieselgeneratoren nicht die ökologischste Art der Stromerzeugung darstellen, dürfte es bei punktueller Nutzung bleiben. Auf den Ozeanen dagegen sind einem Bericht der Wirtschaftswoche zufolge 60 Kraftwerksschiffe unterwegs, aktuelle Projekte gibt es etwa in der Türkei oder in Russland – dort wiederum mit den ungeliebten Atomreaktoren.

Nicht erst handeln, wenn Not erfinderisch macht

Erste Infrastruktur-Projekte in Deutschland bieten sich an den Winterlagerstätten der Flusskreuzfahrtschiffe an, wo abseits der Saison viel Generator-Power schlummert. Oder direkt am Berliner Reichstagufer, wo mancher Parlamentarier den Bau eines Notstrom-Dieselgeneratorhauses fordert, das allein bis 2014 1,4 Millionen Euro kosten soll.

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