Standpunkt Stickoxide: Wegdiskutieren hilft nicht

Standpunkt Stickoxide: Wegdiskutieren hilft nicht

Seit dem 11. März diskutiert die mediale Öffentlichkeit über den Stickoxid-Ausstoß der Rheinschifffahrt. Viele Akteure übertreiben. „Echte Schadstoff-Sünder“ sollen Rheinschiffe sein, „Diesel-Fahrverbote laut Studie wegen Schifffahrt unwirksam“, schreibt die (Boulevard-)Presse. „Stickoxidemissionen in der Fahrrinne sind bereits in Ufernähe nicht mehr nachweisbar“, hält der Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB) ebenso falsch dagegen. Leidtragende sind in erster Linie die Schiffer.

Auslöser der Debatte waren die Veröffentlichungen von Professor Michael Schreckenberg aus der Masterarbeit „Technische und ökologische Auswirkungen alternativer Kraftstoffe auf die Entwicklung des zukünftigen regionalen Verkehrssystems“ seines Studenten Lennart Korsten im Fachbereich Physik an der Universität Duisburg-Essen. Diese Arbeit hatte der BDB schon am 10. April vehement kritisiert. In seiner Argumentation bedient sich der BDB jedoch der gleichen Vorgehensweise, die er bei Schreckenberg völlig zu recht kritisiert: Der mediengerechten Weitergabe von Auszügen, die gerade in das eigene Motiv passen.

Mediengerechte Häppchen

Wie Schreckenberg vorgeht, zeigt der Verein für europäische Binnenschiffahrt und Wasserstraßen (VBW) detailliert in einem Mitgliederrundschreiben: An die Presse kommunizierte der Physikprofessor lediglich zwei konservative Szenarien aus der Masterarbeit, in der die Binnenschifffahrt kaum technologische Fortschritte macht und den Stickoxid-Ausstoß lediglich um 6,9 Prozent bis 2030 senkt.

Korsten erarbeitete jedoch 30 verschiedene Szenarien – und in seinem günstigsten Fall senkt auch die Binnenschifffahrt mit dem Einsatz alternativer Kraftstoffe – in diesem Fall das längst nicht allseits als Lösung anerkannte LNG – ihre Stickoxid-Emissionen um 90 Prozent, berichtet der VBW. Die von Schreckenberg vorgenommene Fokussierung auf die konservativen Szenarien rückt einerseits die Binnenschifffahrt in ein schlechtes Licht – macht bei genauer Betrachtungsweise aber auch den Professor selbst unglaubwürdig.

Leugner statt Buhmann

Der BDB setzt sich der gleichen Gefahr aus, indem er ähnlich vorgeht. Aus der Meldung des Umweltbundesamts (UBA) vom 30. April zitiert der Verband „Die mittlere NO2-Zusatzbelastung, die durch die NOx-Emission der Binnenschifffahrt auf Mittel- und Niederrhein verursacht wird, nimmt demnach überproportional und sehr schnell mit Entfernung von der Fahrrinne ab“, und folgert daraus, dass Messungen am Ufer „reine Spekulation“ seien. Auch die Untersuchungen der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) von 2015 habe ergeben, dass der Stickoxidausstoß in der Fahrrinne bereits am Ufer praktisch nicht mehr nachweisbar sei.

Nun, da zeigt die öffentlich einsehbare BfG-Studie etwas anderes. Insbesondere die Grafiken in den Flussabschnittsbetrachtungen (siehe Beispiel Porz, Seite 19) sind interessant. Es ließe sich also sagen: „schwerer messbar“. Aber keinesfalls „nicht nachweisbar“. Darüber hinaus zeigen die Grafiken, dass die durch Binnenschiffe verursachte NOX-Zusatzbelastung in der Fahrrinne etwa bei Köln-Porz durchgehend mindestens 75 bis 100 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft beträgt.

Und auch in der vom BDB zitierten UBA-Pressemitteilung, die sich auf die gleiche BfG-Studie bezieht, ist zu lesen, dass die Binnenschifffahrt lokal bis zu 30 Prozent der NOX-Emissionen ausmachen kann, etwa an Uferpromenaden. An typischen innerstädtischen verkehrsnahen Messstationen liege der Beitrag der Binnenschiffe zur NO2-Belastung dagegen deutlich unter 10 Prozent. Somit hat laut UBA die Binnenschifffahrt keinen flächendeckenden Einfluss auf die Stickstoffdioxid-Belastung in Innenstädten. Das klingt doch nach einer vernünftigen, amtlich kommunizierten Basis. Ist es also nötig, dass der BDB das UBA nicht korrekt zitiert, sich den Methoden Schreckenbergs bedient und damit seine eigene Glaubwürdigkeit riskiert?

Aus eigenem Interesse sachlich bleiben

Ich denke nicht. Anstatt sich nahezu als Stickoxid-Leugner in Stellung zu bringen und wissenschaftliche Methoden anzuzweifeln, hätte man Zahlen zu Verbesserungen in der Binnenschiffsflotte seit 2012 aufzeigen oder auf ausstehende AIS-gekoppelte Messergebnisse des NRW-Umweltamts verweisen können. In jedem Fall wäre eine differenziertere und sachlichere Auseinandersetzung wünschenswert gewesen, wie sie etwa der VBW betrieben hat – inklusive Pressekonferenz mit dem betreffenden Studenten. Das Resultat sind dann ausgewogenere Berichte wie dieser ZDF-Beitrag.

Die Binnenschifffahrtsvertreter sollten sich auf die Position stellen: „Die Stickoxidemissionen sinken. Das ist gut so und wir leisten unseren Beitrag dazu. Wir benötigen aber Unterstützung, um schneller um- oder nachrüsten zu können.“ Das sollte auch aus Eigeninteresse geschehen, denn Unglaubwürdigkeit schadet der Personalgewinnung. Doch insbesondere im Interesse der Schiffer selbst sollte die Diskussion sachlich gehalten werden, denn sie sind von den hohen Stickoxid-Emissionen entlang der Fahrrinne am stärksten betroffen. Und wahrscheinlich werden dabei mindestens auf den stark befahrenen Rheinabschnitten auch Außenluft-Grenzwerte überschritten, was insbesondere Kindern, alten Menschen und gesundheitlich angeschlagenen Personen an Bord schaden kann. Schiffe sind ja schließlich nicht nur Arbeitsstätten, sondern auch Wohnräume für Familien.

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