Binnenschiffsmodellbau 2.0: Konserviert für die Ewigkeit

Binnenschiffsmodellbau 2.0: Konserviert für die Ewigkeit

Einst galt die „Piz La Margna“ als der Stolz des Rheins. Heute rostet der 1957 in Mainz gebaute Binnentanker im belgischen Albertkanal bei Schoten vor sich hin. Gleichzeitig umrundet er wieder den Loreleyfelsen. Frisch gestrichen. Beinahe im Originalzustand. Unkaputtbar und unsinkbar. Als virtuelles Modell.

Mit dem Erscheinungsbild eines zeitgenössischen Ozeantankers hat die „Piz La Margna“ einige Menschen auf und am Wasser inspiriert. So auch Dennis Riebe, der als Sohn einer Schifferfamilie unter anderem auf dem „Stadt Neckarsteinach“ groß geworden ist. Jahre später arbeitete der 43-jährige Mannheimer als Verkaufsleiter in einer Softwareabteilung, als ihm der eher mittelmäßige Binnenschifffahrt-Simulator 2012 in die Finger geriet.

„Fahrphysik, Spieltiefe und die vorhandenen Schiffsmodelle lassen zu wünschen übrig“, berichtet Riebe, der aktuell eine Umschulung zum Bürokaufmann durchläuft. „Aber das Mittelrheintal ist dem Weltenbauer-Studio ganz gut gelungen. Und die Möglichkeit, eigene Schiffe zu bauen und in den Simulator zu integrieren, hat mich einfach fasziniert.“

Einfach ist anders

Das Jonglieren mit Linien, geometrischen Körpern, Farbflächen, Schattierungen und Texturen hatte sich Riebe einfacher vorgestellt: „Ich ging von einer Art Baukasten aus. Aber man muss sich von Grund auf in das Thema 3D-Modellierung einarbeiten.“ Mit englischsprachigen Anleitungen, Videotutorials und nach etlichen Stunden Übung sind 14 Modelle entstanden, die sich sehen lassen können.

Darunter ist etwa der „Stadt Neckarsteinach“, das Schubschiff „Gaston Haeling“, das Schleppschiff „Unterwalden“ und natürlich die „Piz La Margna“. Rund 200 Arbeitsstunden hat Riebe in sein Lieblingsmodell gesteckt. „Immer wenn sich meine Fertigkeiten verbessert haben, habe ich mir dieses Modell wieder vorgenommen.“ Damit ihm ein Schiff gefällt, braucht der Digitalmodellbauer heute schätzungsweise 80 bis 100 Stunden, je nach Genauigkeit der Vorlage.

Feilen an der optischen Täuschung

Verglichen mit 800 Stunden für eine hölzerne HMS „Victory“ im Maßstab 1:100 ist das noch wenig. „Ich habe großen Respekt vor den handwerklichen Fähigkeiten der ,echten‘ Modellbauer“, unterstreicht Riebe. „Aber als Schaukasten für die Binnenschifffahrt ist der Simulator schon fast sensationell.“ Gut möglich, dass Jugendliche so leichter einen Zugang zur Schifffahrtswelt finden, als mit dem traditionelle Modellbau.

Aus diesem Grund hat Riebe die Genauigkeit seiner Modelle an den Simulator angepasst: Zwar könnte er – die nötige Zeit vorausgesetzt – jeden Anker, jede Pumpe oder auch das Schiffsinnere hoch detailliert nachbauen. Doch für den Einsatz im 2012er-Simulator darf das Schiff nicht über eine bestimmte Datenmenge hinaus wachsen, erklärt Riebe. „Man muss sich also überlegen, welche Schwerpunkte man im Design setzt – und sehr genau an der optischen Täuschung feilen.“

Ohne Parallelklemme, Pinzette und Sekundenkleber

Riebes Werkzeug heißt Blender. Mit der freien 3D-Grafiksoftware modelliert er zunächst Linienrisse anhand von Fotos und Originalplänen, soweit verfügbar. Schwierigster Teil ist dabei der Rumpf inklusive Tunnel. „Da kann man häufig nur Vermutungen anstellen. Denn leider entsorgen viele Werften alte Schiffspläne, anstatt sie Museen oder Modellbauern zur Verfügung zu stellen. So geht Technikgeschichte verloren.“ Für viele Benutzer am Bildschirm zähle dagegen in erster Linie die Wirkung. Die testet Riebe in der Voransicht ausgiebig. Aus verschiedenen Blickwinkeln und Entfernungen.

Manche Details holt er sich von eingescannten Fotos, baut sie als Texturen ein. „Abgenutzte Oberflächen erzeugen oft ein realistischeres Bild. Und eine Holztürmaserung oder die Vorhänge hinter dem Fenster einer Schiffswohnung kann man nicht so einfach nachbilden, ohne den Flair des Originals zu verlieren“, räumt Riebe ein. Und dieser Flair ist wichtig für die Rheinfahrt-Atmosphäre im Simulator, die kein physisches Modell zu erzeugen vermag.

Digitales Museumsschiff

Bisher hat sich Riebe hauptsächlich historischen und fahrenden Schiffen gewidmet. „Einerseits möchte ich den Originalzustand eines Schiffes bewahren und erfahrbar machen. Bei mir schwingt da mit Sicherheit aber auch die Romantisierung einer Zeit mit, in der ich Schifffahrt als deutlich entschleunigter erlebt habe“, so Riebe. „An Neubauten fehlt mir oft die klassische, geschwungene Bauweise, auch wenn manche modernen Designs das gewisse Etwas haben. Zudem entstehen diese ja bereits am Computer.“

In den einschlägigen Internet-Communities jedenfalls stößt Riebes Arbeit auf positive Resonanz. Häufig werde er gefragt, ob er nicht mal ein Flusskreuzfahrtschiff bauen wollte. Eines seiner unentgeltlich bereit gestellten Modelle hat er als Hintergrund-Staffage in einem Eisenbahn-Simulator wiederentdeckt. Riebe freut das. Geschäftliche Anfragen gab es dagegen noch keine. „Derzeit sieht die Branche wohl keinen Werbeeffekt in 3D-Modellen und Simulatoren.“

Das mag auch auf die Ungenauigkeiten des Simulators zurückzuführen sein. Beispielsweise gelten für Verzögerung und Beschleunigung die gleichen Zeitwerte. „So vermittelt der simulierte Notstopp doch ein völlig falsches Bild: Jedes neue Schiff muss binnen zwei Schiffslängen aufstoppen können“, erläutert Riebe. „Der Schiffsimulator von Vstep ist da deutlich näher an der Realität.“ Nur lässt der die Einbindung eigener Modelle nicht zu. „Noch nicht“, hofft Riebe.

In einer Minute von Basel nach Rotterdam

Einen weiterern Vorteil der virtuellen Modelle sieht Riebe in der Möglichkeit zur Vervielfältigung – und damit zur Konservierung für die Ewigkeit. Das gilt nicht allein für die Datenkopie. „Mit der sich gerade entwickelnden 3D-Druckertechnik finden die digitalen Modelle in die reale Welt zurück“, ist Riebe überzeugt.

Je nach Internetverbindung braucht es keine Minute, um das Modell der „Piz La Margna“ zum nächsten Einsatz im Simulator oder zur Nachbildung im Kunststoff- oder Tortendrucker von Basel nach Rotterdam zu schicken. Eine Geschwindigkeit, die das Original mit seinen zwei 750-PS-Maschinen nicht erreichte.

Weitere Bilder der „Piz La Margna“ im Binnenschifferforum

Bilderstrecke: Entwicklung des 3D-Schiffsmodells

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