Simulatorprüfung statt Schifferpatent? EU will Berufsqualifikationen vereinheitlichen

Simulatorprüfung statt Schifferpatent? EU will Berufsqualifikationen vereinheitlichen
Simulator-Ausbildung soll angehende Schiffsführer auf eine praktische Prüfung vorbereiten. Symbolbild: Grohmann

Fachkräftemangel, ungleiche Kompetenzniveaus und eingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit behindern die Entwicklung des nassen Verkehrswesens, findet die EU-Kommission. Deshalb hat das Gremium eine Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen in der Binnenschifffahrt vorgelegt. Die Auswirkungen auf Deutschland stellte Ulrike Schol aus dem Referat WS 25 des Bundesverkehrsministeriums am 23. März im Rahmen einer Fachtagung im Duisburger Schiffer-Berufskolleg RHEIN vor.

Zuerst einmal hört sich die neue Richtlinie, die samt Anhängen auf der Website der EU-Kommission heruntergeladen werden kann, einigermaßen kompliziert an. Langfristig soll sie Arbeitnehmern aber den Zugang zum Beruf erleichtern und bessere Karrieremöglichkeiten bieten. Die Vergleichbarkeit der Abschlüsse helfe insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen bei der Personalgewinnung. Die Neugestaltung fördere Sicherheit, reduziere Unfallkosten und mache das Schiff effizienter. Dadurch werde das System Wasserstraße für Kunden attraktiver, die Öffentlichkeit profitiere durch die Entlastung von Straßen, Klima und Umwelt, heißt es in der Kurzfassung für den Bürger.

Befähigungsbasiertes Qualifizierungssystem

Lediglich die Befähigung zum Matrosen-Motorenwart und Maschinisten werden durch die neue Richtlinie nicht geregelt. Alle anderen Qualifikationen – von den Decksleuten und Auszubildenden über Matrosen, Boots- und Steuerleuten (Operational Level) bis hin zu Schiffsführenden sollen in neu geschaffene Unionsbefähigungszeugnisse eingruppiert werden. An die Stelle des klassischen Patents tritt das Unionsschiffsführerbefähigungszeugnis im Management Level.

Auf die EU-Befähigungszeugnisse lassen sich Sachkundigen-Qualifikationen wie etwa für Fahrgastschifffahrt oder Flüssigerdgas aufsatteln. Besondere Zulassungen sollen Schiffsführende für die Radarfahrt, für LNG-betriebene Fahrzeuge, für Großverbände sowie für bestimmte Binnenwasserstraßen erwerben: Wo besondere Risiken bestehen, soll weiterhin Streckenkunde erforderlich sein. Für Wasserstraßen mit maritimem Charakter wird es eine Qualifikation ähnlich dem alten „A-Patent“ geben.

Um die einzelnen Befähigungszeugnisse zu erhalten, müssen Antragstellende ein Mindestalter sowie medizinische Tauglichkeit nachweisen. Die Mindestanforderungen sollen sich am Paragraphen 3.02 Rheinschifffahrtspersonalverordnung orientieren. Alle Qualifikationen über dem Einsteiger-Level Decksmann oder Auszubildender beziehungsweise Leichtmatrose erfordern darüber hinaus Fahrzeitnachweise, eine zugelassene Ausbildung inklusive Prüfung oder eine staatliche Prüfung. Das gilt auch für den Fahrzeit-Matrosen.

Praktische Fahrprüfung

Neu sind auch praktische Prüfungsanteile, die an Bord oder an einem zugelassenen Simulator abgenommen werden können. Die Standards werden durch die EU vorgegeben. Ein Funkzeugnis wird voraussichtlich nur für Steuerleute und Schiffsführende obligatorisch vorgeschrieben; in allen anderen Befähigungsstufen ist der Erwerb optional.

Wie die Streckenkunde-Prüfungen aufgebaut werden, entscheiden die Mitgliedsstaaten. Eine Prüfung am Simulator ist ebenso denkbar wie das Absolvieren einer bestimmten Anzahl an Fahrten auf dem betreffenden Flussabschnitt, eine Multiple-Choice-Prüfung, eine mündliche Prüfung oder eine Kombination aus mehreren Varianten. Die Prüfung kann nach veröffentlichungspflichtigen Kriterien grundsätzlich überall in Europa abgelegt werden – sofern der Staat, um dessen Gewässer es geht, zustimmt.

Stromkommissionen müssen sich anpassen

Streckenkundepflicht können die Mitgliedsstaaten nach der neuen EU-Richtlinie grundsätzlich dort beantragen, wo häufig wechselnde Strömungsmuster und -geschwindigkeiten vorliegen, wo angemessene Fahrwasserinformationsdienste fehlen, wo eine örtliche Verkehrsregelung vorhanden ist oder wo hohe Unfallzahlen vorliegen. Die Rolle der Stromkommissionen für das Antragsverfahren haben die EU-Politiker im Trilog-Verfahren noch nicht abschließend geklärt. Das gleiche gilt für mündliche Streckenkundeprüfungen oder das mögliche Streckenkunde-Kriterium „hohe Unfallzahlen“.

Da örtliche Gegebenheiten der Wasserstraßen mit den Qualifikationen eng verwoben sind, habe die deutsche Delegation durchgesetzt, dass Mitgliedsstaaten weiterhin eigenständig über die Erforderlichkeit von Streckenkunde auf bestimmten Abschnitten entscheiden können. Der Kommission bleibt eine Art Veto-Recht.

Alle nach den Vorgaben der neuen Richtlinie ausgestellten Unionsbefähigungszeugnisse aus EU-Ländern müssen EU-weit anerkannt werden. Tritt die Richtlinie in Kraft, werden nach Ablauf der Umsetzungsfrist ausgestellte ZKR-Dokumente nur noch dann EU-weit anerkannt, wenn die Rheinschifffahrtspersonalverordnung die neuen Anforderungen der EU erfüllt. Auch müssen Schiffer alte Dokumente dann binnen zehn Jahren umtauschen. Das Fährpersonal hat für den Umtausch 20 Jahre Zeit. Für alles gelten Datenschutzrichtlinien, allerdings seien Mitgliedsstaaten zur Führung eines Registers verpflichtet. Ebenso müsse ein Datenaustausch zu statistischen Zwecken mit der EU-Kommission stattfinden.

Bordbücher und andere Dokumente von Drittstaaten werden nur noch dann auf EU-Binnenwasserstraßen akzeptiert, wenn sich der ausstellende Staat an die Vorgaben der EU-Richtlinie hält und sich dies von der EU-Kommission bescheinigen lässt. Neue Regelung zur Anerkennung von Drittstaaten-Dokumenten können die europäische Binnenschifffahrt grundlegend verändern, schreibt Schol in ihrer Präsentation. Deutschland habe durchsetzen können, dass die EU-Kommission die Anerkennungsvoraussetzungen für Drittstaaten-Dokumente alle acht Jahre überprüfen müsse. Im Zweifelsfall könne jeder EU-Mitgliedsstaat aber eine Überprüfung erwirken.

Auswirkungen auf Ausbildung und Personalwesen in Deutschland

Insgesamt fördere die Richtlinie eine Verschulung der Ausbildung bei gleichzeitigem Abbau praktischer Fahrzeiterfordernisse. „Das ist der Preis der Harmonisierung“, räumte Ulrike Schol ein. Jedoch werde die Qualität durch Einführung obligatorischer Prüfungen sichergestellt. Zugleich eröffne die Richtlinie anerkannten Ausbildungsstätten neue Möglichkeiten: Es werde sowohl eine zweijährige Ausbildung zum Matrosen mit 90 Tagen Fahrzeit, als auch eine dreijährige Ausbildung zum Schiffsführer mit 360 Tagen Fahrzeit geben können. Ebenso neue Qualifikationsmöglichkeiten für Quereinsteiger zur Matrosen- und Schiffsführerbefähigung – wobei es noch keine abschließende Einigung im Trilog gebe.

Auf die Möglichkeit der dreijährigen Schiffsführer-Ausbildung haben insbesondere die Niederlande bestanden. „Das ist aus unserer deutschen Sicht wohl befremdlich“, so Schol. Sie hoffe, dass die Richtlinie noch dieses Jahr in Kraft treten könne. Jedoch wollten Griechenland, Zypern und Malta dies nicht umsetzen. Auch bezüglich Sprachanforderungen gab es noch keine Einigkeit: Während Deutschland auf Landessprachen bestehe, werde in den Niederlanden Englisch favorisiert, um beispielsweise auch Philippinische Seeleute in die Binnenschifffahrt holen zu können.

Langwierige Vorbereitung

Zwischen September 2012 und November 2014 tagte eine von der EU-Kommission eingerichtete Sachverständigengruppe insgesamt elf mal. Zu den Teilnehmern gehörten etwa Flussschifffahrtskommissionen, Behörden, Berufsverbände, Gewerkschaften und Ausbildungseinrichtungen. Bei einer öffentlichen Online-Konsultation im Frühjahr 2013 waren 94 Antworten aus dem Gewerbe aus insgesamt 16 Ländern eingegangen.

Die Sozialpartner hatten am 16. September 2013 in einer Stellungnahme deutlich gemacht, dass der derzeitige „Flickenteppich“ an Regelungen ganz offensichtlich nicht zweckmäßig sei. Er wirke sich nachteilig auf die Attraktivität des Berufs aus und mache den Wirtschaftszweig anfällig für illegale Tätigkeiten, die den Wettbewerb verzerren könnten.

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